Ein Bild und seine Geschichte —
Leda und der Betonmischer ―  Eitweg 1991


"Leda und der Betonmischer"
190 x 200 cm, Öl auf Jute, 1991





In der Kunstgeschichte war Leda mit dem Schwan lange ein beliebtes erotisches Motiv.
Die Götter des klassischen Altertums dachten und handelten mitunter sehr irdisch. Zeus verwandelte sich in einen Schwan, wenn er sich an sittsame Mädels vom Lande heranmachen wollte. Auch Leda fand Gefallen an dieser ausgefallenen Masche, hat doch der Schwan, was andere Vögel nicht haben: Schwäne gehören zu den wenigen Vogelarten, die mit einem Penis ausgestattet sind. Der abendländischen Kunst eröffnete sich so eine willkommene Möglichkeit, sodomitische Pornographie verschlüsselt ins Bild zu setzen. Beispiele davon findet man auch bei Peter Paul Rubens und Leonardo da Vinci.
Einer griechischen Sage zufolge verliebte sich Zeus in Leda, näherte sich ihr und schwängerte sie in der Gestalt eines Schwanes. Doch auch Ledas Mann Tyndareos schlief in dieser Nacht mit ihr. Leda gebar zwei Eier mit vier Kindern – Helena, Pollux, Klytaimnestra und Kastor. In einigen Versionen ist es nur Helena, die aus einem Ei schlüpft, in anderen werden Kastor und Pollux aus demselben Ei geboren. Soweit zur Mythologie des Sujets.

Als ich meine Version der Leda im Sommer 1991 zu malen begann, wäre es taktisch nicht klug gewesen, einen Schwan ins Bild zu setzen. Ich hätte mir die Ächtung des Kunstestablishments eingehandelt: Ein gemalter Schwan galt innerhalb der kulturaffinen Zirkel als Inbegriff des Kitsches. Ihn zu malen wäre glatter künstlerischer Selbstmord gewesen. Damals war es selbstverständliche Voraussetzung, dass der, der ernst genommen werden wollte, gefälligst "abstrakt" zu malen habe - oder zumindest, das, was man dafür hielt. Ich ging daher von folgender Überlegung aus: Wenn Zeus- der Oberste aus der olympischen Dynastie - ein richtig cooler Gott war, dann konnte er sich ja in jeden beliebigen Gegenstand verwandeln. Warum denn nicht gleich in einen Betonmischer? Betonmischer waren nie kitschig und lösten erfahrungsgemäß bei der progressiven Intelligenzija keinen reflexartigen Ekel aus. Aus der Kunst- und Kulturgeschichte lernten wir ja auch, dass Leute, die sich schicke Bauten leisten konnten, seit je her auch ein enges Verhältnis zur Macht hatten, und dass Macht schon immer eine starke erotische Anziehung auf die eine oder andere irdische Herzensdame ausübte. So verwandeltelte sich Zeus in einen Schwan und ich verwandelte den Schwan in einen Betonmischer. Doppelt gemoppelt würde man heute sagen, aber immerhin ein starker Ansatz zur Verschlüsselung und zur Vermeidung einer unerwünschten Kitschdebatte mit denjenigen, die schon immer genau wußten, was richtig und was falsch ist.

Fünf Jahre, nachdem ich das Leda-Bild fertig gestellt hatte, kaufte ich ein altes Gebäude, das ich mir zum Atelier ausbaute. Der Betonmischer bestimmte von da an jahrelang meinen Alltag und das klassische Malerwerkzeug musste sich lange gedulden, bis es wieder zum Einsatz kam. Wer weiss, welche Wendung mein Leben genommen hätte, hätte ich anstelle des Betonmischers einen Staubsauger ins Bild gemalt!